WILD(e) Frau

"Wir sind alle von einer Sehnsucht nach wilder Ursprünglichkeit erfüllt. Aber es gibt kaum ein kulturell akzeptiertes Mittel, das diese Art von Heißhunger stillt. Man hat uns Scham vor diesem Verlangen anerzogen, und so haben wir gelernt, unsere Gefühle hinter langen Haarmähnen zu verbergen. Aber ein Schatten der Wilden Frau verfolgt uns bei Tag und bei Nacht. Wo wir auch hingehen, ein Schatten trottet hinter uns her - und immer einer auf vier Beinen." (Dr. Clarissa Pinkola Estés, Vorwort aus "Die Wolfsfrau")

Was ist wild? 

Meinen Sie, wild wäre mit struppigen Haaren ungewaschen unhöflich mit schlechter Sprache und stinkendem Atem durch die Gegend zu rennen und gegen die Vernunft zu rebellieren? Meinen Sie auch, dass alles Wilde gefährlich oder lästig ist und deswegen beseitigt werden muss? Wilde Tiere, Wildpflanzen (auch Unkräuter genannt), wilde (nicht ausgebeutete) Natur, unangepasste Gefühle, Erde (auch Dreck genannt) usw. usf.? Meinen Sie, ein wilder Rosengarten wäre ein von Wildkräutern überwuchertes verwahrlostes Stück Land hinter einem Zaun?

Ich meine, dass das Wilde für das Ursprüngliche, das Instinktive, Wahrhaftige steht. Für das Lebendige, für die tiefere innere Melodie des Lebens. Diese klingt nicht lebendig und schön in einer betonierten kontrollierten Welt, sondern im Einklang mit der Natur, mit der Erde, auf der wir alle leben, im Einklang mit dem Spirit - dem Geist, dem Göttlichen, Gott, der Schöpfung, dem All, den Göttinnen usw. So ist ein wilder Rosengarten ein Garten, in welchem auf die Stimme dieses Stückes Erde gehört wird, in welchem seine Zeichen geachtet werden. Wo das wachsen darf, was dem Garten und seinen Bewohnern gut tut. In welchem wilde Blumen, gezüchtete Rosen, Gemüse, Früchte, Büsche, Bäume, Insekten, Schlangen, Eidechsen, Igel, Vögel und Menschen in Einklang leben dürfen. In einem natürlichen Gleichgewicht, das vom Gärtner liebevoll und achtsam begleitet wird. In diesem Garten darf man seinen tiefsten Gefühlen lauschen und Raum geben. Haltlose Freude, Lachen und Lust sind ebenso erlaubt wie Zorn, Angst, Verzweiflung. Ausgelassenheit ist möglich wie zurückgezogen Sein und Stille. Schmerzen und Tod gehören dazu wie Lachen und Lieben.

Porträt11grauklein

Frauen haben sich auf den Weg gemacht. Danke! Zutiefst verneige ich mich vor all jenen Frauen, die in den letzten Jahrhunderten/Jahrzehnten selbstverständlich als ganze Menschen gelebt haben und damit uns Nachfolgenden den Weg ebneten zu einer inneren und äußeren Freiheit, die einzigartig in der Geschichte der Frauen ist.(Zumindest seit den letzten reichlich 4000 Jahren) Danke an all die Frauen, die nicht nur ehrlich zu leben versuchten, sondern für die Rechte der Frauen gekämpft haben und heute in allen Teilen der Welt immer noch kämpfen müssen!

Weiblich fühlen, denken, handeln - das ist gefährlich. So etwas hat „Mann“ und besonders der Macht-Mann nicht gern. Kluge, mutige und starke Frauen machen Angst stören die Ordnung von Macht und Angst, welche die gegenwärtigen Systeme am Laufen halten.

Pro-Frau sein und wirken heißt aber nicht automatisch Kontra-Mann sein. Es gibt so viele feine bewusste Männer, die ebenso an der Diktatur des Macho-Mannes leiden. Meist allerdings ist dies so, denn wir merken manchmal gar nicht wie weit wir in männlichen Systemen verankert sind und wie selbstverständlich wir das weibliche Prinzip ignorieren. Auch Männern fehlt das Weibliche.

Tausendjährige Unterdrückung wirft man nicht so leicht ab. Das wirkt lange nach und ist keinesfalls vorbei, weder hier noch auf dem Rest der Welt. So geht es für viele Frauen erst einmal darum, sich einen Freiraum und ein weibliches Selbstverständnis zu erarbeiten. Dafür gebe ich in der psychologischen Beratung, den Frauen- und Mädchengruppen und im Atelier die Möglichkeit, sich in einem geschützten Raum diesen Themen, den damit verbundenen Verletzungen und deren Erlösung zu nähern.

Was denn nun ist weiblich? Und was ist männlich? 

Männer sind nicht immer männlich und nicht nur männlich. Frauen sind nicht immer weiblich und nicht nur weiblich. Wir alle sind alles. Jin und Yang, in beiden Seiten des Daseins ist der Kern des Anderen enthalten. Es geht um die durch körperliche Geschlechtlichkeit veranschaulichte Weltsicht, die Betrachtung der Welt und die daraus resultierend Schlussfolgerung und Umsetzung in Handlungen in der Welt. 

Das weibliche ist ein sich permanent wiederholender Kreislauf, ein Zyklus von kommen, gedeihen, sein, vergehen, tot, wiederkommen. 

Das Männliche ist eine Zielgerade mit einem Anfang und einem Ende. 

Das Weibliche ist das Prinzip der Erde und das Männliche das des Himmels. Beide zusammen ergeben eine göttliche Vollkommenheit, die wir alle in uns und in der Welt suchen - auf denn - verwirklichen wir den Traum zuerst bei uns selber!


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